Sitcoms in Deutschland - Teil 1: Lachen nach Vorbildern aus dem Ausland
Von der Theaterbühne übers Radio ins Fernsehen
Schon Ende des 19. Jahrhunderts kannte man im deutschsprachigen und französischen Raum den Begriff „Situationskomödie“ bzw. „comédie de situation“. Damit war eine leichtere Form der klassischen Komödie gemeint, die auf ein weniger zahlungskräftiges und gebildetes Publikum abzielte. Ihre Handlungen (z.B. Verkettung von überraschenden Umständen, Verwechslungen, Intrigen) erinnerten an Mundart- und Heimattheateraufführungen - allerdings karikieren die Figuren keine Landbewohner, sondern die Gewohnheiten und Lebensweisen des gut situierten Bürgertums, woran besonders die Zuschauer aus dem Arbeitermilieu ihren Spaß hatten:
„Im amüsanten Getriebe der Situationskomödie verbirgt sich zugleich die Kritik an bürgerlicher Doppelmoral: In den einander jagenden Täuschungsmanövern und Entlarvungen, Vertuschungsversuchen und plötzlichen Entdeckungen zwischen Ehepartnern, Hausfreunden und Geliebten, die alle häusliche Ordnung unwiderruflich zu sprengen drohen, am Ende aber doch unweigerlich in (Schein-)Frieden und-harmonie einmünden, gibt sich - durch groteske Überzeichnung und Entstellung des Alltäglichen - die kalte Mechanik des „gutbürgerlichen“ Liebes-, Ehe- und Familienlebens zu erkennen.“ (Zitat gefunden bei Sucher, Bernd C.: DTV-Lexikon Theater 2002)
1900 brach dann die Zeit des Kinos an. Vor allen in den USA traten Schauspieler und Akrobaten in lustigen „Slapstick“-Filmen als Comic-artige Verlierertypen auf. Die Paraderolle Charlie Chaplins, der „Tramp“, gelangte ständig in Problemsituationen, aus denen er sich erst nach rasanten Verfolgungsjagden und wilden Tortenschlachten befreien konnte. Wortgewandtere Künstler zog es dann ab den 1920er Jahren auch ins US-Radio, das eine Reihe neuer Unterhaltungsformate präsentierte. Hier setzten „sitcom series“ die Theatertradition fort und boten neue kurze Geschichten aus dem Familien- und Eheleben, die man vor Publikum aufführte - gerne auch wöchentlich mit wiederkehrenden Figuren. Nachdem Kameras begannen, diese Radioserien für das Fernsehen abzufilmen, beschloss das Schauspielerpaar Mary-Kay und John Stearns 1947 eine reine TV-Sitcom zu drehen. In „Mary Kay And Johnny“ (DUMONT 1947-48) spielten die beiden zuerst wöchentlich, dann sogar täglich ihr Leben als Jungvermählte nach. So kam es, dass an dem Tag, als die reale Mary-Kate einem Sohn das Leben schenkte, John der TV-Nation den vor dem Kreissaal wartenden Ehemann vorspielte. Zehn Tage nach seiner Geburt war Christopher Stearns dann erstmal bei Mary Kay und Johnny zu sehen (wer mehr über das erste Sitcom-Traumpaar erfahren möchte: LINK).
Meilensteine der US-Sitcom: von „I Love Lucy“ zu „The Big Bang Theory“
Es gab keine andere Serie, die dramaturgisch wie auch produktionstechnisch das Fernsehgenre Sitcom so sehr beeinflusste, wie „I Love Lucy“ (CBS 1951-61). In der wöchentlichen Show spielte die landesweit populäre Schauspielerin Lucille Ball die Hausfrau Lucy Ricardo, die immer wieder vergeblich versuchte, ihrem Mann Ricky (gespielt von ihrem tatsächlichen Ehemann Desi Arnaz, der auch im wahren Leben ein erfolgreiches Orchester leitete) ins Showgeschäft zu folgen. „I Love Lucy“ wird in den USA nicht nur bis in die Gegenwart hoch verehrt, sondern war auch die erste vor Publikum aufgezeichnete Serie, die nicht mehr live ausgestrahlt werden musste, da man sie auf Film produzierte. Dies steigerte die Qualität der TV-Serien immens und sorgte für bessere Drehbücher und Bilder. Auch konnten durch die neue Aufzeichnungstechnik Serienepisoden wiederholt, dupliziert und wie Kinowaren von den Produzenten weiterverkauft werden (z.B. dann auch nach Deutschland).
Das US-TV der 50er und 60er Jahre war geprägt von Serien, die sich um „Bilderbuchfamilien“ drehten. Eltern und Großeltern gaben der Jugend gute Ratschläge zur Bewältigung ihrer Konflikte. Dabei wurde auch auf Kontinuität gesetzt: paukten etwa Vater und Sohn in einer Episode für die schwere Mathearbeit, so sahen die Zuschauer zwei Jahre später, wie der Sohn das Haus verließ und aufs College ging. Diese „domestic sitcoms“ lebten von der Weiterentwicklung ihrer Charaktere. Von den amerikanischen Vorort-Mittelschichtshäusern ging man dann in den siebziger Jahren in die Büros und Fabriken. Die „workplace sitcoms“ verliehen zwar dem Genre mehr Authentizität, allerdings wollte man auch zeigen, was passiert, wenn zwei unterschiedliche Charaktere Zweckgemeinschaften bildeten (siehe dazu z.B. „The Odd Couple“ [ABC 1970-83], nach dem sehr bekannten Theaterstück von Neil Simon, das unter dem Titel „Männerwirtschaft“ ab 1972 im ZDF lief). Es folgten die bunten 80er Jahre, die einerseits wieder auf Familienharmonie setzten („The Cosby Show“ NBC 1984-92), sie gleichzeitig aber auch zu persiflieren verstanden („Married … With Children“ Fox 1987-97, hierzulande besser bekannt als „Eine schrecklich nette Familie“). In den neunziger Jahren entdeckten dann die Stand-Up-Comedians die Sitcom für sich. „Seinfeld“ (NBC 1989-98) sorgte mit Episoden um den „Soup Nazi“ oder um einem „Sex-Abstinenz-Wettbewerb“ für Traumeinschaltquoten. „Der Tag, an dem die Sitcom starb“ stellte für viele Fans des Genres der 06. Mai 2004 dar, an dem die letzte Episode von „Friends“ (NBC 1994-2004) ausgestrahlt wurde. Doch schon wenige Jahre später dominierte wieder eine lustige Sendereihe die US-Quotencharts. Bleibt nur die Frage: was wird nach den „Supernerds“ aus „The Big Bang Theory“ (CBS 2007-19) das nächste Sitcom-Highlight sein?
Sitcoms bei ARD und ZDF von den sechziger bis in die neunziger Jahre
Wie erging es der Sitcom im deutschsprachigen Raum? Alles nahm am 07. Oktober 1962 seinen Anfang, als die ARD die erste Folge von „Mister Ed“ (CBS 1961-65) ausstrahlte. Die Serie drehte sich um Wilbur, der ein sprechendes Pferd sein Eigen nennen konnte. Naja, eigentlich sprach es nur mit seinem Besitzer, wenn kein anderer zusah. Genauso wenig, wie Wilburs Nachbarn die Stimme seines Pferdes wahrnehmen konnten, hörten die deutschen Zuschauer bei der ersten Ausstrahlung dieser Serie keine Sitcom-typischen Lachgeräusche aus der Konserve (Fachbegriff: „Canned laughter“). Erst als „Mister Ed“ in den 90er Jahren beim Privatsender Sat.1 wieder gezeigt wurde, wurde die Reihe neu vertont, und da setzte man dann auch auf die Lachgeräusche. Zu verdanken ist dieser Sinneswandel dem großen Erfolg, den das ZDF Ende der 80er Jahre mit der Ausstrahlung der Serie „ALF“ (NBC 1986-90) hatte, bei der man es nicht mehr als notwendig ansah, bei der Synchronisation auf die Lachgeräusche zu verzichten.
Apropos ZDF. Das nahm 1963 seinen Sendebetrieb auf. Eine Vielzahl ausländischer Serien sollten das Publikum anlocken und darunter sind auch einige Sitcoms zu finden, etwa „I Dream Of Jeannie“ (NBC 1967-71, dt. „Bezaubernde Jeannie“), „The Monkees“ (NBC 1966-68) und „The Brady Bunch“ (ABC 1969-74, dt. „Drei Mädchen und drei Jungen“). Die ARD setzte dagegen auf „Bewitched“ (ABC 1964-72, dt. „Verliebt in eine Hexe“), „The Partridge Family“ (ABC 1970-74) und die Workplace-Sitcom „The Mary Tyler Moore Show“ (CBS 1970-77, dt. „Oh Mary“). Für Jung und Alt gab es passende Angebote. „Oh Mary“ und „Männerwirtschaft“ griffen verstärkt Themen wie Emanzipation, Rassendiskriminierung oder das Single-Dasein auf und sprachen ein reiferes Publikum an. „The Partridge Family“ und „The Monkees“, in denen Pop-Musik gespielt wurde, sollten dagegen junge Zuschauer einschalten, genauso wie die Jugendserien „Drei Mädchen und drei Jungen“ oder „Die Bären sind los“ („The Bad News Bears“ CBS 1979-80). Beide Zielgruppen werden dann in Sitcoms mit märchenhaften Elementen wie „Verliebt in eine Hexe“, „Bezaubernde Jeannie“ oder „Mork vom Ork“ („Mork & Mindy“ ABC 1978-82) bedient, in denen Hexen, Zauberer und Außerirdische das Leben der Normalsterblichen auf den Kopf stellen.
Dann kam „Ekel Alfred“
1973 nahm die ARD eine zuvor vom WDR produzierte Serie ins Abendprogramm auf, die aufgrund ihrer Produktionsweise vor Publikum bis heute als „deutsche Ur-Sitcoms“ bezeichnet wird. „Ein Herz und eine Seele“ (ARD 1973-76) ist mit einer Episodendauer von 42 Minuten um knapp 15 Minuten länger als ihre britische Vorlage „Till Death Us Do Part“ (BBC One 1965-80). Hauptfigur war Spießbürger Alfred Tetzlaff, der die deutsche TV-Nation spaltete, da er kein Blatt vor den Mund nahm und gerne über Familienmitglieder, Landespolitik oder Ausländer herzog. Nach ihrem Ende sind die Wiederholungen der Serie zum festen Bestandteil der ARD-Regionalprogramme geworden. Die Serienidee stammte vom Johnny Speight, der auch im Abspann jeder Folge von „Ein Herz und eine Seele“ hinter dem Serienmacher Wolfgang Menge genannt wird. Es kann heutzutage nicht nachgewiesen werden, wie und wann Menge auf dem Stoff aufmerksam gemacht wurde, allerdings liefen Folgen von „Till Death Us Do Part“ 1969 mit Untertiteln im WDR-Fernsehen. Sie muss einen nachhaltigen Eindruck bei ihm hinterlassen haben, denn auch die Hauptcharaktere seiner Adaption tragen die Vornamen ihrer Vorbilder (Alf, Else, Rita & Mike). Aber nicht nur nach Deutschland wurde der Stoff verkauft: mit „All In The Family“ (CBS 1971-79) gibt es auch eine sehr erfolgreiche US-Adaption, die wiederum verschiedene Spin-Offs mit sich zog, die heute zu den bedeutendsten US-Sitcom-Vertretern zählen. Einen Überblick, wo in der Welt es überall Adaptionen und Spin-Offs zu „Till Death Us Do Part“ gibt, wurde in diesem Online-Forum festgehalten: LINK
Kein Erfolg mit weiteren Adaptionen
Auch das ZDF versuchte sich an einigen Sitcom-Adaption. Dabei orientierte man sich nicht nur an den Geschichten, sondern auch an der für lustige US-Serien etablierten Länge von unter 30 Minuten. Mit „Felix und Oskar“(ZDF 1980), der deutschen Version von „The Odd Couple“, beginnt jedoch ein langer Weg voller Sitcom-Misserfolge, zu denen auch die Adaption von „Cheers“ (NBC 1982-93), „Bistro, Bistro“ (ZDF 1992), gezählt werden kann. Die Ursache für das Scheitern des Genres sah man damals in den unterschiedlichen Humoransichten der deutschen und amerikanischen Zuschauer:
"Wir sind nicht das Land von Fantasy und Mickey Mouse. Wir haben auch nicht diese ‚Easy-going’-Lebensart, wie sie die Amerikaner kultivieren. In den USA wurde eben in den 50er Jahren bereits mit 'I Love Lucy' ein markanter Eckpfeiler gesetzt. Hierzulande hatte man nicht die Erfahrung, und zudem hat 'Ekel Alfred’ bei den Zuschauern auch Verunsicherung hervorgerufen. Es wurden Dinge gesagt, die sich eigentlich nicht gehörten. […] Vielleicht waren wir, was den Humor betrifft, doch mehr das Land, in dem Leute, die an Kronleuchtern baumelten, sich gegenseitig mit Kuchen bewarfen.“ (Zitat aus einem Interview mit ZDF-Redakteur Horst Christian Tadey gefunden bei Holzer, Christina: Die deutsche Sitcom 1999)
Neue Hoffnung brachte dem ZDF ab 1988 der Erfolg von „ALF“, der ersten „verlachten“ US-Sitcom im deutschen Fernsehen, die vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Auch mit deutschen Sitcoms klappte es dann ab Mitte der neunziger Jahre wieder im ZDF. Die Produktionen „Salto Postale“ (ZDF 1993-96) und „Lukas“ (1996-2001) waren jedoch Eigenentwicklungen ohne internationale Vorbilder. Nahezu komplett weg von importierten Humorformaten wollte man zu dieser Zeit in der ARD gehen, allerdings testete man ab 1990 im Spätprogramm doch noch einmal eine Lachband-Sitcom aus den USA. Die Hauptrollen spielten vier alte Damen, deren Vorräte an Käsekuchen und Geschichten aus St. Olaf unendlich schienen. „The Golden Girls“ (1985-92) ist jedoch der letzte nennenswerte Erfolg des Genres im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Nach ihrem Nischendasein bei ARD und ZDF wurden US-Sitcoms in den 90er Jahren zum Markenzeichen der noch jungen deutschen Privatsender.
Ende Teil 1.
Nachklapp: Vielleicht seid Ihr jetzt enttäuscht, dass es hier nur ganz wenig um die Serie „Ein Herz und eine Seele“ ging. Das Bild im Header lässt schließlich auch etwas anderes vermuten. Vor einigen Jahren hat allerdings „Retro TV“ eine sehr schöne Folge zu dem Thema produziert und ich habe damals für die Moderatoren auch das Skript verfasst. Ihr könnt Euch diese Folge hier ansehen: LINK